Die gemeinsame Nutzung und sichere Speicherung von Daten sind in der Mobilitätsbranche ein Muss – darüber waren sich die Teilnehmenden und Referent:innen des Webinars einig, das die KG Mobility vom eco Verband und AW 4.0 gemeinsam veranstalteten. Wie sich Vertrauen beim Datenhandel und der Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Quellen gewährleisten lässt, wie sich digitale Normeinheiten und Infrastrukturen geändert haben und welcher Rechtsrahmen für kollaborative Datennutzung erforderlich ist.
Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
Daten in Echtzeit zu erfassen, zu analysieren und zu verarbeiten, ist heute in der Mobilitätsbranche Realität. Verkehrsanalysen, -prognosen und -simulationen ermöglichen es, Zeit, Kosten und Energie zu sparen. Ebenso wie in der Mobilitätsbranche profitieren künftig Unternehmen, Verbraucher und Umwelt bei Autowerkstatt 4.0 (AW 4.0) vom Data-Sharing: Warum trotz fortschreitender Digitalisierung noch mehr Bewegung in die Mobilitätbranche kommen muss, welche politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden sollten und welche Rolle dabei vertrauensvolle Architekturen wie Gaia-X spielen – diesen Fragen stellten sich die Webinar-Teilnehmenden.
Voraussetzungen für Datenräume und kollaborative Datennutzung
„Die gemeinsame Datennutzung braucht zunächst eine Infrastruktur, um Daten nutzbar zu machen und sie unter verschiedenen Akteuren sicher und vertrauensvoll teilen zu können“, sagte Referentin Dr. Judith Puttkammer, Senior Manager Strategic Projects bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften im Bereich Mobility Data Space (MDS). Wie das gelingen kann, hat der MDS als erster operierender Mobilitätsdatenraum in der Europäischen Union und als Gaia-X-Leuchtturmprojekt vorgemacht. Auf dem Marktplatz können mobilitätsrelevante Daten angeboten, über einen Katalog gefunden und bezogen werden. „Wir versuchen, Datensilos aufzubrechen und die Verknüpfungen von Mobilitätsdaten aus unterschiedlichen Bereichen voranzutreiben“, sagte Puttkammer. Dabei werden Beschreibungen von Datensätzen nicht zentral gespeichert, sondern befinden sich in einem Metadaten-Katalog. Daten bleiben also immer bei ihren Besitzer:innen – was ein zentrales Handlungsprinzip von Datensouveränität darstellt.
Vertrauen ist zentral beim Datenhandel
Der Datenmarktplatz – auf dem Partner im Mobilitätssektor und darüber hinaus selbstbestimmt Daten austauschen können – basiert auf „Trusted Identities“. Diese gesicherten Identitäten gewährleisten Vertrauen in der Community. Sie werden bei MDS durch einen standardisierten Verifizierungsprozess und einen manipulationssicheren Datentransfer über zertifizierte Konnektoren sichergestellt. Neben der technischen Infrastruktur bietet der MDS auch Mehrwerte für die Community. Transparent wird dargestellt, welche Daten vorhanden sind und gesucht werden. Besteht Interesse, hilft MDS den Teilnehmern des Datenmarktplatzes bei der Vernetzung. Das gilt auch für die anschließende Planung und Realisierung eines Use Case. Eine Vernetzung – im Sinne der Interoperabilität – findet zudem mit anderen Datenräumen und -plattformen sowie sektorübergreifend statt.
Werkstätten müssen mit der Zeit gehen
Warum sich die digitalen Normeinheiten und Infrastrukturen geändert haben und
wie sich das Handwerk diesen neuen Rahmenbedingungen anpassen muss – damit setzte sich Michael Hofmann, Geschäftsführer der cdmm GmbH und Werkstattausrüster beim Datenmanagement, in seinem Vortrag auseinander. „Die Aufgabe der Daten im Werkstattbereich besteht darin, die alte, traditionelle Welt in Papierform in der neuen, digitalen Welt verfügbar zu machen“, sagte Hofmann. Gerade bei der Fehlerdiagnose immer komplexer werdender Fahrzeuge sei es für Werkstätten wichtig, auf Wissen und Informationen zugreifen zu können.
Neue Bedingungen für das Handwerk
„Hinsichtlich der zunehmenden E-Mobilität haben sich Reparatur, Fahrzeugaufbau und Informationsmanagement vollkommen verändert“, so Hofmann. Autowerkstatt 4.0 habe dafür einen Ansatz gefunden, um durch die Oszilloskop-Messung Fahrzeuge, Diagnose und Daten zu verstehen – und letztlich nicht nur Bauteile auszutauschen und dem Kunden eine dicke Rechnung zu präsentieren, meinte der Datenexperte. Die Digitalisierung von Werkstätten und Handwerk im Allgemeinen schreitet voran: Bei der Arbeitsumgebung, mit smartem Equipment, Industriestandards, Product Passports mit QR-Codes und Devices. „Das erfordert strukturierte Daten in Datenräumen, um sie dort ‘sharen‘ zu können“, sagte Hofmann. Ein Schritt in die richtige Richtung: Mit den „Global Standards“ 2019 und der „QI-Digital“, der Quality Infrastructure, im letzten Jahr wurde eine wissenschaftliche und rechtliche Grundlage geschaffen, um digitale Austauschprozesse vereinheitlicht zu ermöglichen.
Rechtsrahmen für gemeinsame Datennutzung
Stefan Hessel, Rechtsanwalt der Reusch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, setzte sich in seinem Impulsvortrag ebenfalls mit Rahmenbedingungen auseinander. Er stellte sich die Fragen „Wer bekommt den Finderlohn für den ‘Datenschatz‘ – und welcher Rechtsrahmen ist für eine kollaborative Datennutzung erforderlich?“. Eine schwierige Aufgabe, weil die gemeinsame Datennutzung ein komplexes Thema darstellt, das von vielen relevanten Rechtsgebieten geprägt ist. Und weil das sogenannte traditionelle Recht – wie das des Vertrags- und Eigentumsrechtes – digitale Neuheiten für die kollaborative Datennutzung noch nicht ausreichend berücksichtigt. „Man muss festhalten, dass es kein Eigentumsrecht an Daten gibt. Werden Daten ausgetauscht und gekauft, ist es aus rechtlicher Sicht etwas anderes als der Kauf eines Apfels auf dem Markt“, sagte Hessel. Denn in dem Beispiel wird Eigentum übertragen.
Traditionelles Recht regelt Umgang mit Daten nur begrenzt
Allerdings existiert ein Datenbankherstellerrecht, das den Urheber einer Datenbank schützt, wenn er eine wesentliche Investition aufwendet, um die Daten zu schützen. Das Urheberrecht hilft also als Recht des geistigen Eigentums. Werden diese Investitionen nicht getätigt, gibt es mit dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen eine Auffangregelung. Soweit die Möglichkeiten, nach dem traditionellen Recht Daten in wirtschaftlicher Hinsicht schützen und über vertragliche Regelungen, wie Datenlizenzverträge, regulieren zu können. Für die Praxis heißt das: Niemandem Zugriff auf die Daten geben und es über das Geschäftsgeheimnisschutzgesetz ausschließen. Im zweiten Schritt lizensiert man eine Datennutzung über das Vertragsrecht. Geregelt werden muss, wer den Finderlohn bekommt, wenn ein „Datenschatz“ gehoben wird. Dies erfolgt über ein Vergütungsmodell, das die Nutzungsdauer und -rechte festlegt.
Bei personenbezogenen Daten greift das Datenschutzrecht
Überall, wo es um die kollaborative Datennutzung personenbezogener Daten geht, gilt das Datenschutzrecht: Beispiele sind die Fahrzeugidentifikationsnummer oder das Kennzeichen. Der geplante Data Act soll die wirtschaftliche Datennutzung auf EU-Ebene festlegen. Die neue Verordnung ist praktisch bedeutsam für jeden, der Daten verarbeitet: Geregelt werden beispielsweise der B2B- und B2C-Austausch von IoT-Daten, von Interoperabilität sowie ein Missbrauchsschutz zur Datennutzung für KMU.
Daten sind die Zukunft
In der abschließenden Diskussionsrunde herrschte Einigkeit darüber, dass die Freigabe und das „Sharing“ von Daten in der Mobilitätsbranche unumgänglich sind: Sei es, dass die Panne auf der Autobahn durch eine vorausschauende Wartung vermieden oder Termine für den jährlichen Reifenwechsel automatisch vereinbart werden können. Durch das Teilen und Verknüpfen von Daten sind neue Organisationsstrukturen, Anwendungen und Mobilitäts-Services möglich. Wirtschaftlich betrachtet, bieten sich enorme Potenziale, Kosten zu sparen und die Effizienz zu steigern. Im Jahr 2025 soll der Wert der Datenwirtschaft in der EU bei rund 830 Milliarden liegen. Michael Hofmann: „Daten sind in Zukunft ein Handwerk. Daher ist es wichtig, dass jeder mit Daten umgehen und sie verstehen kann.“
Gemeinsam eine Kultur des Datenteilens schaffen
„Wir stehen allerdings noch ganz am Anfang“, fordert Dr. Judith Puttkammer, „Unternehmen, Organisationen und öffentliche Behörden schrecken immer noch davor zurück, ihre Daten bereitzustellen. Es muss eine Kultur des Datenteilens entstehen.“ Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind angehalten, die noch bestehenden Bedenken ernst zu nehmen und gemeinsam Lösungen zu finden. Gaia-X ist dabei so wichtig wie ein gemeinsames Verkehrsnetz – mit gemeinsamen Regeln und Teilnehmern, die in der Lage sind, sich sicher fortzubewegen. Die Initiative schafft nicht nur vergleichbare, sondern standardisierte Infrastrukturen, die den Umgang mit Daten von Grund auf verändern können. Datenräume, die in der EU neu entstehen, können sich an Gaia-X in Zukunft orientieren.
Mitgliedern des eco steht die Aufzeichnung des Webinars „Warum die gemeinsame Nutzung und sichere Speicherung von Daten für die Mobilitätsbranche ein Muss sind“ im Members+-Bereich zur Verfügung.