Der Tagungsraum „Sunrise“ des DE-CIX MeetingCenter in Frankfurt war bis auf den letzten Platz besetzt. Das Who is Who der Automobil- und Zulieferbranche war der Einladung des eco – Verband der Internetwirtschaft und von Autowerkstatt 4.0 gefolgt: Beim Workshop „Wie Daten und KI Autowerkstätten transformieren“ diskutierten die Teilnehmenden mit großem Einsatz und Engagement ihre Praxiserfahrungen mit Datentöpfen, -silos und -strömen und verständigten sich auf die notwendige Bereitschaft zum Datenteilen. In kurzen Pitches stellten Arbeitsgruppen ihre Visionen von der Werkstatt der Zukunft vor.
Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
Daten sind die Innovationstreiber der Automobilindustrie und moderner Autowerkstätten. Wer neue Geschäftsmodelle entwickeln und unerschlossene Geschäftsfelder eruieren will, muss Produkt- und Datenzyklen verstehen. Nur so können Kunden bessere und nachhaltigere Services angeboten werden. Das haben die Vertreter:innen Deutschlands namhaftester Zulieferer, Dienstleister, Verbände und Institute beim Workshop von Autowerkstatt 4.0 betont. In spannenden Diskussionen tauschten sie mit viel Expertise und Engagement Gedanken zu Themen wie dem Zugang zu Daten sowie deren gemeinsamer Nutzung und Monetarisierung aus. Auch gesellschaftspolitische Fragestellungen zum Fachkräftemangel und wirtschaftliche Aspekte wie die Standortsicherung der deutschen Automobilindustrie wurden erörtert.
Gaia-X und Autowerkstatt 4.0 setzen auf Datensouveränität
Die beiden Referenten Jan Hendrik Schoenke, Head of Research and Development beim Konsortialführer LMIS, und Juan Hahn, der im Auftrag des AW 4.0-Konsortiums als Partner- und Business Development Consultant fungiert, verdeutlichten, welche Bedeutung ein sicheres und vertrauensvolles Ökosystem wie Gaia-X und seine Leuchtturmprojekte haben. „Projekte wie Autowerkstatt 4.0 sind ein Puzzleteil, um die gemeinsame Datennutzung für die Wirtschaft greifbar zu machen“, so Schoenke. Zertifizierbare und zentralistische Modelle nach Gaia-X-Standards ermöglichen die Regulierung der Daten, wobei die Datensouveränität von OEM und Kunden gewährleistet ist. Die Datenverarbeitung kann zudem in Werkstatt-Hubs, also skalierbaren Einheiten innerhalb des Gaia-X-Ökosystems, erfolgen.
Ist- und Soll-Zustand bei Datenquellen
Gemeinsam setzten sich die Teilnehmer:innen mit dem Ist-Zustand von Datenquellen in den Unternehmen auseinander. Zentrale Fragen nach der aktuellen Datenlage und der Beschaffung von Fahrzeugdaten standen hierbei im Fokus – ebenso wie mögliche Hürden und die Konsequenzen für den Werkstattalltag. Die Erfahrung: Die genaue Identifikation des Fahrzeugs und der Bauteile erweist sich oftmals als problematisch. Der Markt an Diagnose-Tools und -programmen ist zwar groß, doch nicht jedes Werkzeug ermittelt die gleichen Ergebnisse. Insofern kann Wissen, das bei Autohändlern und Werkstätten vorhanden ist, nicht strukturiert geteilt und genutzt werden.
Oftmals haben nur Werkstattmeister Zugriff auf Diagnosegeräte, da die personalisierten Lizenzen der Hersteller kostspielig sind und sich kleinere Werkstätten nur eine leisten können. Die Kosten-Nutzen-Relation bei der Datennutzung ist daher ein großes Thema. Auch der Wissensstand, die Schulung und Weiterbildung des Werkstattpersonals hinsichtlich Diagnose-Tools und -dienstleistungen wird bemängelt. Das Diagnose-Ergebnis entspreche dem Meisterwissen, wobei im Internet gar nicht erst gesucht wird und ein Austausch unter Kollegen fehlt – genauso wie Hersteller- und Fahrzeugdaten, historische Reparatur- und Kundendaten sowie Erfahrungsberichte beziehungsweise Kundengespräche.
Visionen von der Werkstatt der Zukunft
Wie könnte sich die digitalisierte Werkstatt der Zukunft besser aufstellen? Und welche finanziellen Mittel, Leistungsangebote, Kundenerfahrungen, Umsetzungsgeschwindigkeiten oder Nachhaltigkeitskriterien spielen eine Rolle? Das stellten die Arbeitsgruppen in kurzen Pitches vor. Die Ideen und Visionen fokussierten sich unter anderem auf den Kundennutzen: Hier werden Zeit und Geld eine noch existenziellere Rolle spielen. So gilt: Kunden zeitlich minimal zu belasten und eine maximal verbindliche Vorhersage zu geben, wie lange sie auf ihr Fahrzeug verzichten müssen.
Ein unbeschränkter Zugang zu Daten und Funktionen sowie ein System zur Datenverwaltung liegen dieser Vision zugrunde. Die Datennutzung müsste internationalen Standards entsprechen und Schulungs- sowie Weiterbildungsangebote sollten Lösungsansätze für den Fachkräftemangel finden. Dabei könnten Virtual und Augmented Reality mit genauen Hilfsangeboten bei der Diagnose an Bedeutung gewinnen. Predictive Maintenance in Verbindung mit KI wird laut Expert:innen ein zentrales Thema: Fahrzeuge kommunizieren künftig noch stärker mit Mensch und Umwelt und werden im besten Fall sagen können, was ihnen fehlt beziehungsweise was sie brauchen.
Egal ob bei mobiler oder Vor-Ort-Reparaturlösung können schon vorab Ersatzteile oder Spezialwerkzeuge für die Reparatur bestellt werden. Die „Werkstatt 4.0“ kann im Sinne des Kunden effizienter planen und arbeiten – sowie der Nachhaltigkeit durch geringeren Materialeinsatz und CO2-Einsparung Rechnung tragen. Ein längerer Produktlebenszyklus zahlt nicht nur unmittelbar auf die Nachhaltigkeit ein, sondern verändert auch den Teilemarkt. Denkbar ist hier sogar der Einsatz von 3D-Druckern oder Drohnen. Eine vollständige Zahlungs- und Versicherungsabwicklung würde den 360-Grad-Service für Kunden komplettieren.
Erkenntnisse und Feedback der Workshop-Teilnehmer
Für die Teilnehmenden gab es im Rahmen des Workshops nicht nur Gelegenheit zum kreativen Austausch, sondern auch Infoangebote: Frank Mauder von ZF Aftermarket fand es spannend, die Sichtweisen und Weiterentwicklungen anderer Unternehmen aus der Branche kennenzulernen. „Für uns sehe ich hier eine große Chance, den Kunden und Werkstätten, die wir betreuen, künftig Mehrwerte anzubieten.“ Dr. Tobias Schweickhardt von der Daimler Truck AG wollte sich einen Überblick über die aktuell geführte politische Diskussion bezüglich des Data Act und des Zugriffs auf Fahrzeug-generierte Daten verschaffen: „Die Auseinandersetzung wird zum Teil zu abstrakt und nur schlagwortartig geführt. In dem Workshop konnte ich Einblicke in Anwendungsfälle bei Werkstätten, Diensteanbietern und Kunden von Fahrzeugen mitnehmen, die auch unser Unternehmen weiterbringen.“
Ludger Kersting, Geschäftsführer der ADAC Service GmbH, hob positiv hervor, dass im Workshop gerade der Zugang zu Daten thematisiert wurde: „Die Industrie stellt uns als Dienstleister nicht genügend Daten zur Verfügung, obwohl diese den Service der künftigen Kundenindustrie auf der Straße wesentlich verbessern.“ In dem Workshop sei, so Kersting weiter, von verschiedensten Seiten das Interesse bekundet worden, Daten offenzulegen und zu teilen. Für Werkstätten und alle, die im Servicebereich tätig sind, müsse sich eine Welt öffnen, „in der wir gemeinsam im Sinne der Kunden denken und handeln. Die größten Schwierigkeiten liegen nach wie vor bei der Fahrzeugherstellerindustrie – nicht bei den Zulieferern“, so der ADAC-Experte. Ohne die Bereitschaft, Daten zu teilen, habe die Industrie in Europa gegenüber Unternehmen in den USA und anderen Kontinenten klare Wettbewerbsnachteile.
Fazit und Appell
Nachteile im Markt haben auch freie Werkstätten, die die ersten KI-gestützten Fehlerdiagnosemessungen im Rahmen des bevorstehenden Rollouts bei AW 4.0 nicht als Startschuss in eine neue Zukunft erkennen. Einigkeit herrschte im Workshop nämlich darüber, dass ein Förderprojekt wie AW 4.0 einen Dominoeffekt auslösen kann. Erste Werkstätten machen mit, weitere ziehen nach, um ihre Digitalisierung voranzutreiben, ihr Leistungsportfolio auf Kundenbedürfnisse und eine nachhaltige Wertschöpfungskette auszurichten und so mit dem Wettbewerb Schritt zu halten. Feststeht: Um künftig die Transformation und Datennutzung effizient voanzutreiben, gilt es an einem Strang zu ziehen. Deshalb nutzten die Workshop-Teilnehmenden über den Austausch hinaus die Gelegenheit, sich zu vernetzen.
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