Wie lässt sich das Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) effizient im Automotive Aftermarket nutzen? Und vor allem: Was sind die größten Hürden beim Daten teilen und wie lassen sich diese überwinden? Diese Fragen standen unter anderem im Mittelpunkt des letzten Autowerkstatt-4.0-Workshops am 16. Oktober 2024 im eco Kubus in Köln. Lesen Sie hier die Zusammenfassung.
Visionäre Ideen, rege Diskussionen: Der Workshop „KI im Automotive Aftermarket – Daten teilen, Innovation fördern“ gab rund einem Dutzend Teilnehmern die Möglichkeit für intensiven Austausch und wertvolle Erkenntnisse über die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) und Daten in der Automobilbranche.
Qira: Reparaturprozesse mit Daten vereinfachen
Den Auftakt machten Hendrik Kleinwächter (CTO), Boris Peters (Business Development Manager) und Hannah Bellmann (Director Business Development) von AHEAD Automotive, die in ihrer Keynote die aktuellen Herausforderungen bei der Integration von KI im Automotive-Sektor beleuchteten. Besonders im Fokus stand die Notwendigkeit, Daten effektiv zu nutzen und mit Partnern zu teilen, um Innovationen voranzutreiben. Während in den USA, etwa bei Tesla, bereits Daten zu Forschungszwecken geteilt werden, ist dies in Deutschland noch Zukunftsmusik. Das Resultat: Innovationen stocken, da Daten nicht frei verfügbar sind.
Hannah Bellmann präsentierte die Vision von AHEAD: eine KI-gestützte Reparaturassistenzplattform namens Qira. „Wir wollen Werkstätten für die Zukunft mobilisieren und bei ihren Herausforderungen unterstützen“, so Bellmann. „Gestartet sind wir mit einer Videoplattform, sozusagen einem Netflix für Werkstätten mit Reparaturanleitungen. Aber wir haben schnell gemerkt, dass das nicht ausreicht. Stattdessen bauen wir jetzt mit Qira eine Art ‘Siri’ für die Werkstatt, mit der sich Reparaturprozesse optimieren lassen und Werkstätten wertvolle Zeit sparen können.” Die Plattform gibt etwa präzise Antworten auf Fragen rund um den Reparaturprozess, basierend auf Expertendaten der Branche – Wissen auf Abruf sozusagen. Bellmann betonte die Bedeutung der Datengrundlage für Qira: „Wir sind auf qualitativ hochwertige Daten angewiesen. Daher arbeiten wir eng mit OEMs und anderen Akteuren zusammen, um eine umfassende und zuverlässige Datenbasis aufzubauen.“
RepairGPT: Kollaboration in dezentralen Ökosystemen
Ein weiterer Höhepunkt des Workshops war die Präsentation von Dr. Jan Hendrik Schoenke, Artificial Intelligence Manager bei WAGO, in der er über die Bedeutung von dezentralen digitalen Ökosystemen sprach. Schoenke begann seine Präsentation mit einem historischen Überblick über die Entwicklung des Datenaustauschs von zentralen Netzwerken hin zum dezentralen Data Ecosystem. Er betonte: „Im dezentralen Data Ecosystem gibt es keinen Single Point of Control, weder auf technischer noch auf Governance-Ebene. Das ändert die Spielregeln für den Datenaustausch fundamental.“
Mit RepairGPT stellte er ein zukunftsweisendes Konzept vor, das den gesamten Reparaturprozess in Werkstätten revolutionieren könnte. „Unsere Vision ist es, dass der Kunde nur eine einzige Konversation erlebt, während im Hintergrund viele Teilnehmer nahtlos zusammenarbeiten.” Schoenke erläuterte auch, welche Hürden dafür genommen werden müssen: Einfacher Zugang zu Daten der Hersteller und anderer Akteure, Digitalisierung der Service-Angebote in Werkstätten und mehr Interoperabilität. Schoenke: „WAGO hat schon gezeigt, wie man durch das Öffnen von Daten Innovationen fördern kann. Der Markt ist dadurch enorm gewachsen. Es wäre kurzsichtig, wenn die OEMs auf ihren Daten sitzen bleiben und so den Fortschritt blockieren würden.“
Data Hub und Pontus-X: Brücke zur dezentralen Datenzukunft
Abschließend referierte Juan Hahn, eco Kompetenzgruppenleiter Mobility und CEO und Founder von HAHN Network, über die Anbindung des AW-4.0-Werkstatt-Hubs an das dezentrale digitale Ökosystem Pontus-X, das den sicheren und transparenten Austausch von Daten, Software und digitalen Dienstleistungen ermöglicht. In seinem Vortrag bezog er sich auf das „Amazon Flywheel-Prinzip”, ein Konzept, das von Jeff Bezos entwickelt wurde, um das kontinuierliche Wachstum von Amazon anzutreiben. Es basiert auf der Idee, dass eine Reihe von Schlüsselfaktoren in einem Unternehmen so miteinander verbunden sind, dass sie sich gegenseitig verstärken und einen sich selbst antreibenden Wachstumszyklus schaffen. Hahn verglich dieses Konzept mit der Nutzung von KI in Werkstätten: Mehr Daten führen zu mehr Intelligenz, was wiederum eine bessere Kundenerfahrung schafft und so für mehr Kunden sorgt, die wiederum mehr Daten liefern. „Dieser Kreislauf muss in Gang gesetzt werden, um ein exponentielles Wachstum zu ermöglichen“, erklärte Hahn.
Hürden beim Datenteilen: Erkenntnisse aus den Diskussionen
Im Laufe des Workshops kristallisierten sich mehrere zentrale Herausforderungen heraus, die das Teilen von Daten im Automotive Aftermarket erschweren:
- Schwieriger Erstkontakt: Mehrere Teilnehmer hoben hervor, dass der erste Kontakt mit den richtigen Ansprechpartnern in großen Unternehmen oft eine Hürde darstellt. Insbesondere für kleinere Unternehmen und Start-ups ist es schwierig zu ermitteln, wer für Datenanfragen zuständig ist. Dies verzögert den Prozess des Datenzugangs erheblich.
- Kosten und Preisstrukturen: Die hohen Kosten für Datenlizenzen, vor allem für kleinere Werkstätten und Start-ups, identifizierten die Teilnehmer als große Hürde. Die Intransparenz der Preise je nach OEM macht es etwa für Werkstätten schwierig, einen Überblick zu behalten.
- Datenzugang und -kontrolle: Viele Teilnehmer wiesen auf die Bedenken der Unternehmen hinsichtlich der Kontrolle über ihre Daten hin. „Wem gehören die fahrzeuggenerierten Daten?“, war etwa eine häufig gestellte Frage.
- Technische Komplexität: Die Vielfalt an Datenformaten und Schnittstellen nannte die Gruppe als Hindernis für einen reibungslosen Datenaustausch.
- Datenschutz und Sicherheit: Bedenken bezüglich der Cybersicherheit, insbesondere im Hinblick auf sensible Fahrzeugdaten, wurden mehrfach geäußert.
- Vertragsgestaltung: Die Teilnehmer betonten die Schwierigkeit, angemessene und faire Verträge für den Datenaustausch auszuhandeln. Insbesondere für kleinere Unternehmen und Start-ups stellt dies eine erhebliche Herausforderung dar.
- Kosten-Nutzen-Relation: Für viele Werkstätten ist unklar, wie sich Investitionen in Datenzugang und -nutzung konkret auszahlen.
Die Teilnehmer diskutierten auch über mögliche Lösungen. So könnten etwa branchenweit akzeptierte Standardverträge für den Datenaustausch entwickelt werden, um so auch kleineren Unternehmen den Einstieg zu erleichtern. Zudem sollten klare und faire Preisstrukturen etabliert werden, etwa in Form von Flatrates oder Pay-per-use-Modellen. In puncto Cyber Security wurde für eine verstärkte Investition in dezentrale Dateninfrastrukturen plädiert, die höchste Sicherheitsstandards gewährleisten. Datenformate und Schnittstellen sollten einheitlich gestaltet sein, um die Interoperabilität zu gewährleisten. Und nicht zuletzt wurde auch die Relevanz von Schulungs- und Informationsprogrammen angesprochen, um Werkstätten den Wert und die Nutzungsmöglichkeiten von Daten zu vermitteln.
Der Workshop machte deutlich: Die Zukunft des Automotive Aftermarkets liegt in der intelligenten Nutzung von Daten und KI. Um diese Vision zu realisieren, ist es unerlässlich, dass alle Branchenteilnehmer an einem Strang ziehen. Einig waren sich am Ende alle: Nur wenn alle Akteure zusammenarbeiten und bereit sind, Daten offen zu teilen, lässt sich das volle Potenzial von KI im Automotive Aftermarket ausschöpfen. Dafür braucht es eine neue Kultur der Offenheit und des Vertrauens. OEMs, Zulieferer, Werkstätten und Technologieanbieter müssen ihre Datensilos öffnen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, die der gesamten Branche zugutekommen. Nur so kann der Automotive Aftermarket in Deutschland und Europa wettbewerbsfähig bleiben und innovative, kundenorientierte Services entwickeln.