Mission erfüllt: Autowerkstatt 4.0 bringt KI in die Werkstatt

Nach drei Jahren intensiver Forschung ziehen die Teilnehmer des Projekts Autowerkstatt 4.0 Bilanz: Auf der Abschlusskonferenz im AI Village in Hürth demonstrierten die Projektpartner, wie künstliche Intelligenz (KI) den Werkstattalltag revolutioniert. Von einem kompakten KI-gestützten Oszilloskop über einen sicheren Datenraum bis zu einer intelligenten Fehlerdiagnose – die Technologien des Projekts zeigen, wie Werkstätten fit für die Zukunft werden.

Ein rotes zylinderförmiges Gerät, kaum größer als ein Daumen – was auf den ersten Blick wie ein simpler USB-Stick wirkt, könnte die Arbeit in Deutschlands Autowerkstätten revolutionieren: Das innovative Oszilloskop ist eines der Ergebnisse des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekts Autowerkstatt 4.0, dessen Partner am 5. Dezember 2024 im AI Village Hürth ihre dreijährige Entwicklungsarbeit präsentierten. 

Das Problem, das das Team lösen wollte, kennt jeder Autofahrer: „Stellen Sie sich einmal vor: Ein Warnsignal im Auto leuchtet auf, Sie fahren in die Werkstatt, der Fehler wird scheinbar behoben – und nach 15 Kilometern leuchtet das gleiche Warnsignal wieder auf”, beschreibt Projektleiterin Katharina Beckwermert von der LMIS AG während der Ergebnispräsentation den rund 50 Gästen der Abschlusskonferenz ein alltägliches Problem in Werkstätten. „Im Projekt haben wir daran geforscht, wie wir mit Hilfe von KI den Diagnoseprozess verbessern können. Wenn der Fehlercode uns das Symptom zeigt, soll die KI uns helfen, die Ursache dahinter zu finden.”

Entwicklung eines Oszilloskops, Schulung von Werkstätten

Ein Konsortium aus Forschungseinrichtungen, Technologieunternehmen und Branchenexperten hat in den letzten drei Jahren ein Ökosystem für KI-gestützte Fahrzeugdiagnose entwickelt. Auf der Abschlusskonferenz konnten die Gäste an verschiedenen Ständen die Ergebnisse kennenlernen. 

Das eingangs erwähnte Oszilloskop ist ein Bauteil der Lösung. „Jeder kennt noch die großen Oszilloskope aus der Ausbildung – mit Drehknöpfen, bei denen man nie so genau wusste, wie man sie einstellen soll. Unser neues Modell ist intelligent, kompakt und einfach zu bedienen“, erklärt Anna Theimann von Auto-Intern, die das Gerät gemeinsam mit der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) entwickelt hat. Das Gerät, das sogar seit einigen Wochen als Beta-Version erhältlich ist, kann mehrere Kanäle gleichzeitig messen. Die vom Gerät aufgenommenen Daten können danach exportiert und auf der Plattform des Hubs zur Analyse bereitgestellt werden.

Doch innovative Technik allein reicht nicht – sie muss auch in der Praxis bestehen. Die THGA hat das Oszilloskop in Werkstätten gebracht und Mitarbeiter geschult. „Die Erwartungen, viele Daten zu sammeln, war am Anfang sehr hoch”, sagt Lukas Jakubczyk, Operativer Projektleiter an der THGA. „Es war nicht einfach, den Werkstätten zu erklären, dass wir erst einmal ein halbes Jahr Daten sammeln müssen, bevor die KI Ergebnisse liefern kann.” In zwei Rollout-Phasen wurden 70 Werkstätten ausgestattet, die von der Batteriespannung bis zu komplexen Bauteilen wie Lambdasonden verschiedenste Messungen durchgeführt haben. Auch wenn die Erwartungen bezüglich der Datenmenge nicht erfüllt wurden, konnte das Team erste Datensätze sammeln, die sich – erweitert um synthetische Daten – für das KI-Training nutzen lassen.

Infrastruktur für Daten: der Autowerkstatt 4.0 Hub

Die gesammelten Daten fließen in den Autowerkstatt 4.0 Hub – eine zentrale Plattform des Projekts, die mehr ist als ein reines Datenlager. „Der Werkstatt Hub ist ein an einen Datenraum angebundenes Diagnosesystem, welches Werkstätten ermöglicht Diagnosen von unterschiedlichsten Herstellern durchzuführen, ohne die Hoheit über ihre Daten aufzugeben”, erklärt Raphaela Butz von der LMIS AG und technische Leiterin des Projekts. 

Damit sich die Daten sicher und Gaia-X-konform austauschen lassen, hat die LMIS AG zusammen mit der Hochschule Osnabrück in Zusammenarbeit mit dem BO-I-T die notwendige Infrastruktur für den Hub entwickelt und diese Konformität bei der Konferenz anhand eines Demonstrators präsentiert. Magnus Komesker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Osnabrück, sagt: „Unser Ziel war es, ein System aufzubauen, das veranschaulicht, wie der Datenaustausch zwischen den Werkstätten in der Praxis funktionieren kann. Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir gezeigt, dass sich Daten souverän, sicher und transparent austauschen lassen, womit wir Gaia-X-konform sind.”

Entwicklung und Zertifizierung von KI-Modellen

Diese sichere Infrastruktur bildet nun die Basis für die eigentliche Innovation: Die Entwicklung intelligenter Diagnosemethoden. Eine besondere Rolle spielte dabei das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das innovative Methoden entwickelt hat, um aus der begrenzten Datenmenge wertvolle Erkenntnisse zu ziehen. „Unser System verbindet verschiedene KI-Methoden zu einem intelligenten Diagnoseprozess”, erklärt Tim Bohne, Researcher beim DFKI. „Ein Wissensgraph speichert Zusammenhänge zwischen Fahrzeugkomponenten und Fehlercodes, neuronale Netze erkennen Anomalien in den Messdaten, und eine Root-Cause-Analyse findet die wahre Fehlerursache. So führen wir Mechaniker Schritt für Schritt zur Lösung des Problems.”

Eine weitere Herausforderung war die Akzeptanz in der Praxis. André Graßmuck, Data Scientist von der DEKRA Digital, sagt: „Wenn neue Systeme in einer Werkstatt eingeführt werden, kann das viele erst einmal verunsichern. Eine Zertifizierung und der Nachweis, dass ein Modell gut funktioniert, kann die Akzeptanz bei den Mechaniker:innen erhöhen.” Um Qualität und Vertrauenswürdigkeit KI-gestützter Diagnosen sicherzustellen, hat die DEKRA Digital deshalb einen Prototyp zur KI-Zertifizierung entwickelt. Dieser bewertet sowohl die Qualität der Trainingsdaten als auch die Robustheit der KI-Modelle – eine Entwicklung, die mit Blick auf kommende Regulierungen wie den EU AI Act besondere Bedeutung gewinnt. Mit dem Zertifizierungsprototyp schafft die DEKRA damit eine wichtige Grundlage für den vertrauenswürdigen Einsatz von KI in der Werkstatt.

Impulse zur Zukunft des Automotive Aftermarkets

Die Konferenz bot neben den Projektständen auch spannende Ausblicke in die Zukunft der Branche. Philipp Merlitz von T-Systems International hob etwa die Dringlichkeit von Innovationen hervor: Mit sinkenden Reparaturzahlen und dem Trend zur E-Mobilität stehe der Aftermarket vor großen Herausforderungen. Seine Lösung: KI-gestützte Sprachassistenten und intelligente Nutzung von Mobilitätsdaten. Hannah Bellmann von AHEAD Automotive präsentierte mit QIRA eine Art Siri für die Werkstatt, die Expertenwissen intelligent aufbereitet und Mechaniker unterstützt. Wie moderne Technologie auch die Kundenkommunikation verbessern kann, zeigte Ioannis Lalissidis von der DAT mit einem VR-Prototyp, der Reparaturen durch virtuelle Explosionszeichnungen anschaulich macht. 

Zum Abschluss skizzierte Juan I. Hahn, Gründer von HAHN Network, in seinem Impulsvortrag die Vision eines umfassenden KI-Systems für die Werkstatt der Zukunft und betonte die Bedeutung von Zusammenarbeit. „KI wird eine Sprunginnovation sein wie einst das Automobil. Dafür brauchen wir den Mut, Datensilos aufzubrechen und Daten zu teilen.“ Als Leiter der Kompetenzgruppe Mobility beim eco-Verband will Hahn die Projektergebnisse von Autowerkstatt 4.0 weiterentwickeln und neue Kooperationen anstoßen. Seine Vision: Ein offenes Daten-Ökosystem für KI-Innovationen, das alle Stakeholder vom Hersteller bis zur freien Werkstatt einbindet.

Auf Augenhöhe begegnen

Die Konferenz bot auch Raum für gemeinsame Diskussionen über die Zukunft der Branche. In Panelrunden debattierten die Experten über Verwertungsmöglichkeiten der Projektergebnisse und die Zukunft von KI in der Werkstatt. Dabei wurde deutlich, wie wichtig Vertrauen und Nachvollziehbarkeit beim Einsatz von KI-Systemen sind. Die Experten waren sich einig: Dezentrale Datenräume bieten im Automotive Aftermarket große Chancen – von der präziseren Diagnose durch geteilte Erfahrungswerte bis hin zu neuen Geschäftsmodellen wie vorausschauender Wartung. Die Bereitschaft zur digitalen Transformation ist in der Branche vorhanden, aber der Weg dorthin muss für alle Beteiligten – von großen Herstellern bis zu kleinen freien Werkstätten – praktikabel sein.

Nach drei Jahren intensiver Forschung hat das Projekt Autowerkstatt 4.0 gezeigt, dass die digitale Transformation der Werkstätten keine Zukunftsvision mehr ist. „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir Augenhöhe zwischen freien Werkstätten und OEMs wünschen. Ein Datenraum kann dazu beitragen, dies zu erreichen”, sagt Butz zum Abschluss des Tages. Die entwickelten Technologien haben das Potenzial, den Automotive Aftermarket grundlegend zu verändern – und zwar zum Nutzen aller Beteiligten. Die digitale Transformation bietet nicht nur technologischen Fortschritt, sondern auch die Chance, neue, fairere Strukturen im Automobilsektor zu etablieren. Die Werkzeuge dafür hat das Autowerkstatt-4.0-Team erfolgreich zusammengestellt – jetzt liegt es an der Branche, sie zu nutzen.

Hier finden Sie ein paar visuelle Highlights von dem Kongress. Alle weiteren Fotos finden Sie bei Flickr.

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