Im April läuft das durch EFRE.NRW finanzierte Vorprojekt Autowerkstatt 4.0 (AW 4.0) nach vier Jahren offiziell aus. Das gleichnamige Folgeprojekt ist seit Anfang dieses Jahres offiziell am Start und hat gerade erst den Förderbescheid aus den Händen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erhalten. Wie und ob sich die Voraussetzungen beim Forschungsprojekt zur Verbesserung der Reparatur und Wartung mit KI-gestützter Kfz-Diagnose geändert haben, erklären Lukas Jakubczyk von der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) Bochum und Dr. Jan H. Schoenke von der LMIS AG.
Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
Autowerkstatt 4.0: Herr Jakubczyk, welche Idee und welcher Ansatz trieb Sie 2015 an, ein Messverfahren zur Unterstützung von Werkstätten zu entwickeln?
Lukas Jakubczyk: Die Idee ist während des Elektrotechnikstudiums an der THGA in Bochum entstanden. Der Ansatz mehrerer Kommilitonen war es, Werkstätten im Sinne eines zukunftsfähigen Arbeitsplatzes mit moderner Messtechnik zu unterstützen. Da die Messmethode mit Oszilloskopen bereits existierte und zielgerichtet sowie sehr genau Signale im Motorraum erfassen konnte, war der Forschungsansatz geboren.
AW 4.0: Wie sollte sich die von Ihnen entwickelte Hardware von den marktüblichen Lösungen unterscheiden?
Jakubczyk: Für diemeisten handelt es sich bei einem Oszilloskop um eine große Apparatur mit vielen Knöpfen und Einstellmöglichkeiten. Wer das erste Mal mit dem Gerät zu tun hat, für den erscheint es wie eine Angst einflößende, geheimnisvolle Technologie. Wir wollten daher in unserem Forschungsprojekt ein Messgerät entwickeln, das sich komfortabel und mit viel Platz im Motorraum handhaben lässt. Unsere Vorstellung: Es sollte der Größe eines kleinen menschlichen Fingers entsprechen.
AW 4.0: Welche Vorgaben und technischen Überlegungen gab es noch als es drei Jahre später zur ersten Beantragung des Forschungsprojektes Autowerkstatt 4.0 kam?
Jakubczyk: Es sollte sich einfach bedienen lassen, die Signale mehrere Oszilloskope synchronisieren und anschließend an einen Server übertragen können. Gewissermaßen eine „Plug and Play“-Lösung für die Nutzer, um KI-Modelle anzulernen und Fehler zu diagnostizieren.
AW 4.0: Mit welchen besonderen Herausforderungen hatten Sie es bei der Entwicklung der Hardware zu tun?
Jakubczyk: Die Iterations-Zyklen, die notwendig sind, um Hardware zu produzieren werden oftmals unterschätzt. Das beginnt schon mit der Bestellung von Platinen zu angemessenen Preisen. Hier muss mit mindestens drei Wochen Lieferzeit gerechnet werden. Sind die einzelnen Komponenten vorrätig, müssen sie anschließend verarbeitet, elektrisch getestet und mit der Software abgestimmt werden. Festzustellen, warum ein Embedded-Gerät nicht reagiert, kann dann schonmal mehrere Tage dauern.
AW 4.0: Wie fällt Ihr Fazit trotz der beschriebenen Widerstände und der durch Corona eingeschränkten Möglichkeiten aus?
Jakubczyk: Die Hardware wurde entwickelt, die Software läuft. Das Machine Learning bzw. die KI zu trainieren, wenn die Daten gut strukturiert notiert sind, ist jetzt durchaus machbar. Die Herausforderung des Folgeprojektes ist, innerhalb von 36 Monaten eine KI anzulernen, die herstellerunabhängige Fehlerdiagnosen bei einem Großteil, der in deutschen Werkstätten vorkommenden Fahrzeugtypen, ermöglicht. Es soll eine Art Wissens-Almanach entstehen, der fahrzeugspezifische und Iso-normierte Fehler erfasst.
AW 4.0: …und welchen „wissenschaftlichen Boden“ haben Sie für das Folgeprojekt bereitet?
Jakubczyk: In dem Vorprojekt wurde einsehr leistungsfähiges Oszilloskop entwickelt, das die Akzeptanz innerhalb der Werkstatt erhalten hat. Wir haben generell die Machbarkeit der Messmethode unter Beweis gestellt und wissen jetzt, dass das Synchronisierungsverfahren auf Linux wie auf Windows funktioniert, dass wir uns im ersten Ansatz auf Fehlerfälle konzentrieren wollen, bei denen wir zunächst nur ein Messsignal aufnehmen. Unsere Erkenntnis: Die Messgeräteadaption an elektrischen Bauteilen im Fahrzeug bedarf viel Absprache mit den Servicetechnikern vor Ort, um eine gewisse Benutzer-Ergonomie zu gewährleisten.
AW 4.0: Herr Dr. Schoenke, wie schätzen Sie die Vorarbeit Ihres Kollegen und jetzigen Forschungspartners ein?
Dr. Jan H. Schoenke: Die erwähnte Machbarkeit des KI-Ansatzes ist der Grund, warum wir im Gaia-X-Förderwettbewerb angetreten sind und nun die Diagnostikmethode skalierbar in die Breite tragen möchten. Wir können dabei auf die Erfahrung der wieder geförderten Partner Auto Intern und THGA setzen. Kern des vom BMWK geförderten Leuchtturmprojektes: Den Weg vom Proof of Concept zum Prototyp gehen.
AW 4.0: Was gilt es dabei zu bedenken?
Schoenke: Die Komplexität ist nicht zu unterschätzen. In die „Breite tragen“ bedeutet nicht weniger, als die technische Infrastruktur gemeinsam mit großen Partnern aufzubauen.
AW 4.0: Wie lautet der Auftrag des Förderwettbewerbes?
Schoenke: Die klare Ansage bei der Ausschreibung für den Förderwettbewerb war, die Gaia-X-Technologie zu verbreiten. Der vorher technisch- und konzept-lastige Ansatz von Gaia-X soll greifbar werden, um konkrete Geschäftsprozesse und -modelle zu ermöglichen.
AW 4.0: Welche Rolle spielen Ihre Partner in diesem Zusammenhang?
Schoenke: Beim Folgeprojekt von Autowerkstatt 4.0 können wir auf ein starkes Konsortium zurückgreifen, das sich um verschiedene Projektaufgaben kümmert, sodass wir uns technologisch der Plattformentwicklung widmen und die KI-Entwicklung vorantreiben. Um eine Breitenwirkung erzielen zu können, haben wir starke Partner, die Marktverständnis und -zugang haben. Darüber hinaus haben wir tolle assoziierte Partner, die das geförderte Konsortium ideal ergänzen.
AW 4.0: Heißt konkret?
Schoenke: Die Werkstätten als eine wesentliche Zielgruppe des Projekts zur Digitalisierung von KMU sind optimal durch das Unternehmen Vergölst, durch Innungen und unseren assoziierten Partner vertreten, sodass uns von Projektbeginn an mehr als 5.000 freie Werkstätten unterstützen. Auch wichtig für unsere strategische Ausrichtung ist der eco Verband. Als größter Internetverband Europas verfügt er über ein enormes Netzwerk von Mitgliedern, eine gute Vernetzung mit Entscheidern und die Erfahrung mit Forschungsprojekten.
AW. 40: Sicherlich ist auch der Erfahrungsschatz der Partner relevant.
Schoenke: Ja, es kommt in einem Forschungsprojekt selten vor, auf einen Partner wie die THGA zu treffen, der bereits über so dezidierte Erfahrung in der Forschung mit Kfz-Diagnostik verfügt. Gepaart mit dem Erfahrungsschatz aus der Praxis mit Diagnosesystemen von Vergölst, dem Zertifizierungsspezialisten DEKRA und dem KI-Entwickler Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sind wir sehr gut aufgestellt.
AW 4.0: …und Gaia-X?
Schoenke: Hier bringen wir als LMIS zusammen mit der Hochschule Osnabrück, dem DFKI und eco unsere Erfahrung ein. Gleichzeitig schafft Gaia-X für uns die Basis, die es überhaupt möglich macht, Daten der KI-Modelle vertrauenswürdig und sicher auszutauschen. Die Kombination aus Multiplikator- und domainspezifischen Projekten innerhalb des Förderwettbewerbes unterstreicht das Potenzial.
AW 4.0: Mit welchen Unwägbarkeiten zusätzlich zu Corona rechnen Sie und wie unterscheiden sich diese von denen des Vorgängerprojektes?
Schoenke: Ein wesentlicher Fokus von AW 4.0 ist die Beschaffung der passenden Daten. Ich rede dabei nicht von der Masse, sondern der Datenqualität. Ohne sie hat auch die zu entwickelnde KI nicht die Qualität, die wir uns wünschen. Jeder kennt das Prinzip „garbage in, garbage out“. Das beinhaltet auch die Prozesse, die entscheidend sind, um Fehler systematisch ausschließen zu können.
AW 4.0: Welche Faktoren entscheiden noch über den Erfolg des Projektes?
Schoenke: Es ist wichtig, sich gut zu positionieren. Wir haben dabei eine Auswahl von Fahrzeugen mit Fehlermeldungen getroffen, die eine große Relevanz bei Reparatur- und Diagnosefällen im Markt haben und die uns wichtige Meta-Informationen liefern, um die KI-Entwicklung weiter voranzutreiben.
AW 4.0: Wie wollen Sie die Hersteller von AW 4.0 überzeugen?
Schoenke: Die ursächliche Fehlerdiagnostik ist für Hersteller wichtig, um Fehler der nächsten Fahrzeuggeneration auszumerzen. Wir bieten weit mehr als reine statistische Daten.
Jakubczyk: Die Möglichkeit, hochaufgelöste Daten aus dem laufenden Fahrzeugbetrieb gewinnen zu können, ist für die Entwicklungsabteilung eines Herstellers von enormer Bedeutung, um Qualitätsmerkmale von Kfz gezielt zu entwickeln.
AW 4.0: Verändert AW 4.0 auch den Umgang mit Daten?
Schoenke: Ja, da durch die Nutzung von Gaia-X Datensouveränität eine neue Qualität bekommt. Wie Daten genutzt und geteilt werden können, werden die einzelnen Akteure künftig einfacher bestimmen und nachvollziehen können. Dabei ist es uns wichtig, Anreize zu schaffen, um Daten zu teilen und so Innovation zu fördern.
AW 4.0: Welchen Nutzen kann AW 4.0 für Werkstätten bringen? Woran muss sich das Projekt messen lassen?
Schoenke: Genau daran, den Kunden ein KI-gestütztes Diagnostiksystem und innovative Servicekonzepte anbieten zu können. Wenn ein Kunde sein Auto in die Werkstatt bringt, die Ursache eines Fehlers schnell und präzise diagnostiziert wird, sodass nur das notwendige Bauteil ausgetauscht wird, haben wir unseren Job getan.
Jakubczyk: Für Werkstätten wird sich der Nutzen in den zufriedenen Gesichtern der Kunden widerspiegeln. Ein Werkstattinhaber kann seinem Kunden das Versprechen geben, dass beim Austausch von Bauteilen die Fehlerursachen auch wirklich erkannt und behoben werden. Langfristig kann der Werkstattbesitzer seine Bauteile-Lieferkette wesentlich schlanker und Ressourcen-schonender gestalten. Auch verkürzen sich die Wartezeiten bei Reparaturen, sodass die Werkstattauslastung mit neuen Aufträgen wesentlich schneller erfolgen kann und mehr Umsatz generiert wird. Zusätzliche Einkünfte lassen sich auch als Datenlieferant erzielen.
AW 4.0: Welche gesellschaftliche Bedeutung hat AW 4.0?
Schoenke: Wir wollen mit AW 4.0 einen Beitrag leisten, auch Mitarbeiter, die nicht über langjährige Erfahrung bei der Fahrzeugdiagnose verfügen, durch das KI-gestützte Diagnosesystem zu befähigen, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten.Der Trend in der Branche ist, dass immer weniger Werkstätten in Deutschland existieren und gleichzeitig die Anzahl der Beschäftigten sinkt – es handelt sich also nicht um eine Konzentrierung des Marktes. In gleichem Zuge wird aber immer mehr Geld umgesetzt. Der Zusammenhang: Die Komplexität für Werkstätten und Servicemitarbeiter ist enorm gestiegen. Zunehmend in Fahrzeugen verbaute Elektronik, Fahrassistenz-Systeme, aber auch die Hybridtechnologie und Elektromobilität erfordern eine ständige Weiterentwicklung und höhere Qualifikationsanforderungen von den Mitarbeitern.
AW 4.0: Inwiefern kann ein KI-gestütztes Diagnosesystem das Berufsbild von Mechatronikern in Zukunft verändern?
Jakubczyk: Es ist eine optische Hilfe, die den Kfz-Meister befähigt, schnelle Entscheidungen zu treffen. Bei der erwähnten zunehmenden Komplexität der Fahrzeuge muss der Mitarbeiter in der Lage sein, Fachkraft zu bleiben. Das Diagnosegerät ersetzt also nicht den Mitarbeiter, sondern unterstützt ihn. Die Bedienung eines Oszilloskops wird bei zunehmender E-Mobilität unverzichtbar.
Vielen Dank für das Gespräch!
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