Für den Zugang zu diebstahl- und sicherheitsrelevanten Reparatur- und Wartungsinformationen (RMI) auf den Fahrzeugherstellerportalen benötigen Werkstätten aufgrund gesetzlicher Vorgaben ab dem 30. Juli eine Zulassung und deren Mitarbeiter eine Autorisierung. Diese beinhaltet, zusätzlich zu den bisher vorhandenen Login-Daten, ein persönliches elektronisches Zertifikat. Werner Steber, Geschäftsführer der Abteilung Werkstätten und Technik des Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), erklärt im Interview, wie eine Anmeldung über das Portal der Konformitätsbewertungsstelle SERMA abläuft, welche Vorteile sich durch die Neuregelung ergeben und was das für den Zugang zur On-Board-Diagnose (OBD) bedeutet.
Foto: Promotor/peoplecreations auf Freepik
Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
Autowerkstatt 4.0: Herr Steber, wie sind die Zulassung und Autorisierung organisiert?
Werner Steber: Das Prüfverfahren für die Zulassung der Unternehmen und Autorisierung deren Mitarbeiter erfolgt gemäß SERMI-Schema, welches in der EU-Typgenehmigungsverordnung 2018/858 festgelegt wird.
Autowerkstatt 4.0: Und wie läuft der Prozess der Registrierung für Werkstätten ab?
Steber: Mit Vorliegen der Akkreditierung der Konformitätsbewertungsstelle SERMA durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) kann unter www.serma.eu von den Werkstätten der Antrag auf Zulassung online gestellt werden. Die vertretungsberechtigte Person des Unternehmens muss bei der Antragstellung neben ihren persönlichen Angaben die von der Verordnung vorgegebenen Unterlagen in dem SERMA-Portal hochladen, unter anderem einen gültigen Auszug aus dem Gewerbezentralregister, und die Mitarbeiter benennen, die für sein Unternehmen eine Autorisierung für den Zugang zu diebstahl- und sicherheitsrelevanten RMI erhalten sollen. Eine Auflistung der erforderlichen Dokumente sind der SERMA-Webseite zu entnehmen. Zum Abschluss der Antragsstellung erfolgt die Online-Identitätsprüfung der antragsstellenden Person per Kamera des Smartphones oder Notebooks mit einem gültigen Ausweisdokument.
Im Anschluss werden die benannten Mitarbeiter aufgefordert, neben den Unterlagen über ihre berufliche Qualifikation ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis in dem SERMA-Portal hochzuladen. Erst wenn das Unternehmen und seine Mitarbeiter ein positives Prüfergebnis von der Konformitätsbewertungsstelle erhalten haben, können diese mit einem zugeteilten QR-Code ein personalisiertes, elektronisches Zertifikat über eine App downloaden.
Autowerkstatt 4.0: Welche Vor- und Nachteile bringt die Neuregelung?
Steber: Den größten Vorteil des SERMI-Schemas sehe ich darin, dass die Überprüfung sensibler, persönlicher Daten durch eine neutrale, akkreditierte Konformitätsbewertungsstelle erfolgt. Mit dem ausgestellten Zertifikat bekommen die autorisierten Mitarbeiter herstellerübergreifend Zugang zu den diebstahl- und sicherheitsrelevanten RMI-Daten. Nachteile: Der jeweilige Fahrzeughersteller entscheidet darüber, welche Reparatur- und Wartungsinformationen entsprechend eingestuft werden. Eine genaue Einteilung kann je nach Fahrzeugarchitektur und -modell stark variieren.
Die Authentifizierung für den Zugang auf das Security Gateway läuft über den Fahrzeughersteller. Das elektronische Zertifikat einer Konformitätsbewertungsstelle sollte meines Erachtens auch herstellerübergreifend für das Security-Gateway anerkannt werden. Das wäre eine enorme Erleichterung für die unabhängigen Wirtschaftsakteure. Zur Erläuterung: Das „Security Gateway“ (SGW) ist eine Maßnahme der Fahrzeughersteller, die OBD-Schnittstellen der Fahrzeuge vor Hackerangriffen zu schützen. Das SGW ist ein notwendiger Baustein des Cybersecuritymanagementsystems der Fahrzeughersteller und wird in der UNECE R155 geregelt. Das Cybersecuritymanagementsystem und das SGW sind unabhängig vom SERMI-Schema beziehungsweise den diebstahl- und sicherheitsrelevanten RMI zu betrachten.
Autowerkstatt 4.0: Was verändert sich noch für Werkstätten und welche Auswirkungen hat es auf die Anwendung von Diagnosegeräten?
Steber: Das elektronische Zertifikat ist bei der Nutzung sowohl von Original-Herstellerdiagnosegeräten als auch von Remote-Diagnosegeräten für den Zugang zu diebstahl- und sicherheitsrelevante Informationen erforderlich. Bei Mehrmarkendiagnosegeräten ist weiterhin der Zugriff auf diese diebstahl- und sicherheitsrelevanten RMI nicht möglich.
Autowerkstatt 4.0: Bringen ein veränderter Zugang zu OBD-Fahrzeugdaten und die verpflichtende Bereitstellung durch die OEM für freie Werkstätten mehr Wettbewerbschancen?
Steber: Die Möglichkeit, dass auch freie Werkstätten uneingeschränkten Zugang zu Fahrzeug-OBD-Informationen sowie auf die diebstahl- und sicherheitsrelevanten RMI erhalten, bringen keine verbesserten Wettbewerbschancen. Sie dienen vielmehr der Aufrechterhaltung eines fairen Wettbewerbs.
Vielen Dank für das Gespräch!
+++ AKTUALISIERUNG +++
Laut der SERMI Operations Group wird der Start von SERMI in Europa gestaffelt erfolgen. Der Beginn in Schweden ist für Oktober geplant, da es dort bereits akkreditierte Konformitätsbewertungsstellen gibt. Eine Entscheidung über den Start im Dezember wird im Oktober für alle anderen Länder getroffen. Dieser Prozess wird alle zwei Monate wiederholt. Daher ist nach Angaben der SERMI Operations Group nicht vor Dezember 2023 mit einem Start von SERMI in Deutschland zu rechnen. Bis dahin bleiben die bisherigen Abläufe und Verfahren der Fahrzeughersteller unverändert.
Dieser Artikel hat Ihnen gefallen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie regelmäßige Updates zu ähnlichen Themen und zum Projekt Autowerkstatt 4.0 und diskutieren Sie mit uns zu diesem und ähnlichen spannenden Themen auf LinkedIn.