Die Regionen Stuttgart und Neckar-Alb gelten als Hot Spot der Automobilindustrie und des Maschinenbaus. Von Start-ups über kleinere und mittlere Unternehmen bis hin zu Big Playern arbeiten mehr als 200.000 Beschäftigte in diesen Bereichen. Das im Juli 2022 gestartete und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Projekt „CARS 2.0“ (Cluster Automotive Region Stuttgart 2.0) bietet den Akteuren als Transformationsnetzwerk eine Plattform, um sich zu vernetzen. Gerhard Ebert, Berater im Bereich Technologietransfer der Handwerkskammer Stuttgart, stellt das Gemeinschaftsprojekt unterschiedlicher Partner aus Wirtschaft, Forschung, Verbänden und Bildungsträgern vor. Im Interview erklärt er, wie das Netzwerk die Unternehmen bei der digitalen Transformation, bei Fachkräftemangel und Elektromobilität unterstützt. Und: Warum viele Gemeinsamkeiten mit Autowerkstatt 4.0 bestehen.
Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
Autowerkstatt 4.0: Herr Ebert, welche Motivation gab es, das Cluster CARS 2.0 zu gründen?
Gerhard Ebert: Die Bereiche Fahrzeug- und Maschinenbau spielen in den Regionen Stuttgart und Neckar-Alb seit jeher eine große Rolle und sind wichtige Wirtschaftsfaktoren. Da die Digitalisierung mit dem zunehmenden Online-Vertrieb und der Elektromobilität gerade für kleinere Werkstätten eine besondere Herausforderung darstellt, entstand schon vor längerer Zeit die Idee, ein Netzwerk zu gründen, um die Betriebe bei der Transformation zu unterstützen. Wir wollen die regionale Leistungsfähigkeit sowie ein hohes Beschäftigungsniveau nachhaltig sichern.
Autowerkstatt 4.0: Kam der Wunsch nach einer Plattform aus der Branche?
Ebert: Wir haben die Rückmeldung aus den betroffenen Betrieben bekommen, dass die Umsatzzahlen stagnieren und zum Teil rückläufig sind. Darüber hinaus war voraussehbar, dass mit dem Hochlauf der E-Mobilität Tätigkeitsbereiche wegbrechen werden. Unser Ansatz bezieht sich daher auf die Erweiterung von Geschäftsfeldern und neue Geschäftsmodelle zur Kompensierung von Umsatzeinbrüchen.
Autowerkstatt 4.0: Welche konkreten Ziele verfolgt das Projekt?
Ebert: Ein Ziel ist es, die vielen bereits existierenden Hilfsangebote über unsere Partner bekannt zu machen. Wir wollen zudem eigene Informations- und Sensibilisierungsangebote für die digitale Transformation und deren Chancen für Betriebe schaffen.
Autowerkstatt 4.0: Bei welchen Themen und mit welchen Maßnahmen unterstützen Sie die Betriebe noch?
Ebert: Unsere Veranstaltungen beschäftigen sich unter anderem mit digitalen Zahlungsmöglichkeiten, Planungssystemen, Social Media und Cybersicherheit. In Workshops helfen wir Betrieben neue Geschäftsideen und -modelle zu entwickeln und geben Tipps, wie diese strategisch anzugehen sind.
Autowerkstatt 4.0: Wie schaffen Sie es, dass die unterschiedlichen Interessen von Start-ups und Großkonzernen matchen?
Ebert: Ein eigenes Teilprojekt beschäftigt sich mit Start-ups, um ihnen durch Netzwerktreffen den Austausch mit der Branche zu ermöglichen. Die Start-ups haben ein Angebot, das für größere Unternehmen interessant ist. Wir schaffen für sie die Bühne, um es präsentieren zu können. Denn durch bilaterale Gespräche werden oftmals erst Interessen, Bedarfe und Möglichkeiten der Zusammenarbeit deutlich. Wir organisieren beispielsweise Speed-Datings, zu denen unterschiedliche KMU eingeladen werden. Start-ups können hier in einem Pitch ihre Produkte vorstellen und im Nachgang Geschäftsbeziehungen intensivieren und mögliche Geschäfte tätigen.
Autowerkstatt 4.0: Wer ist in das Projekt eingebunden und welche Rolle spielt die HWK Stuttgart innerhalb des Netzwerks?
Ebert: Das KooperationsprojektCARS 2.0 steht unter der Leitung der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH. Weitere Projektpartner sind die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, das Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft e.V., die IG-Metall und die Handwerkskammer Region Stuttgart. Daneben sind mehrere assoziierte Partner in die Initiative eingebunden. Wir als Handwerkskammer vertreten die Interessen der rund 1.600 Handwerksbetriebe aus den genannten Branchen und bringen deren Sichtweisen und Bedarfe in das Projekt ein.
Autowerkstatt 4.0: Welche Bedeutung haben die Projektbeteiligten für die Vernetzung und den Austausch?
Ebert: Sie haben in zweierlei Hinsicht Bedeutung. Zum einen schaffen die Projektbeteiligten Transparenz über den Stand der Technik. Das egalisiert Informationsdefizite. Zum anderen entstehen branchenübergreifende Kooperationsmöglichkeiten zwischen Unternehmen unterschiedlicher Größe und zwischen Betrieben und Forschungseinrichtungen.
Autowerkstatt 4.0: Welche inhaltlichen, konzeptionellen und strategischen Ansätze verbinden CARS 2.0 mit AW 4.0?
Ebert: Inhaltlich verbindet die beiden vom BMWK geförderten Projekte, dass sie moderne Techniken zur Bewältigung der steigenden Komplexität im Kfz-Bereich einsetzen. Immer raffiniertere Fahrzeuge und Systeme gehen mit einem großen Fachkräftemangel einher. Digitale Technologien – wie bei AW 4.0 die künstliche Intelligenz – sollen Mitarbeitende befähigen, Informationen und Daten auszuwerten, um besser mit der Komplexität umgehen und Prozesse sowie den Ressourceneinsatz effizienter gestalten zu können. Ebenso wie AW 4.0 will CARS 2.0 so dem Fachkräftemangel entgegentreten.
Autowerkstatt 4.0: Gemeinsamkeiten bestehen auch beim Thema Weiterbildung. Inwiefern können Schulungsangebote KMU bei den Herausforderungen helfen?
Ebert: Die Schulung und Weiterbildung sind bei CARS 2.0 ganz zentrale Themen. Wir erfassen den Bedarf in den Betrieben und Berufsschulen, um Lücken bei Lernangeboten zu schließen. Dazu führen wir bis Ende September eine Befragung durch und entwickeln gemeinsam mit Bildungsträgern neue Konzepte. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass bei der Sensortechnik und bei agilen Arbeitsmethoden Handlungsbedarf besteht.
Für die Wartung und Reparatur entwickeln wir im Rahmen des Projektes Lehrpläne und Weiterbildungsangebote, um erweiterte Schulungen für Kfz-Techniker anbieten zu können. Sie werden sich damit zur „Fachkraft für alternative Antriebe“ weiterqualifizieren können.
Autowerkstatt 4.0: E-Mobilität hängt eng mit dem Teilen und gemeinsamen Nutzen von Daten zusammen. Wie schätzen Sie die Situation für freie Werkstätten ein?
Ebert: Das Teilen der Daten unter den Werkstätten spielt meiner Auffassung nach noch eine untergeordnete Rolle. Von größerer Bedeutung ist der Zugang zu Fahrzeugdaten. Viele Reparaturen sind lediglich durch einen erweiterten Zugang zu den Fahrzeug-internen Systemen möglich. Insbesondere freie Werkstätten klagen über einen Wettbewerbsnachteil. Werkstätten, die verschiedene Fabrikate bedienen, sind besonders betroffen, weil sie gleich bei mehreren Herstellern auf die Bereitstellung der Daten angewiesen sind. Mit dem Data Act ist eine Gesetzesänderung in Vorbereitung, die die Situation verändern könnte.
Autowerkstatt 4.0: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang eine sichere Infrastruktur?
Ebert: Eine sichere und vertrauensvolle Infrastruktur ist wichtig für die Betriebe, wobei man zwischen dem Zwei-Mann-Unternehmen und dem Mittelständler mit mehreren hundert Beschäftigten differenzieren muss. Denn je kleiner das Unternehmen ist, desto weniger Zeit bleibt dem Inhaber, sich mit Fragen einer Dateninfrastruktur zu befassen. Er benötigt Plug-and-Play-Lösungen, die einfach in der Handhabung und trotzdem verlässlich sind. Viel Zeit, sich einzuarbeiten, hat dieser Anwender im operativen Tagesgeschäft nicht.
Umso wichtiger ist ein niederschwelliger Einstieg mit einer transparenten Darstellung – auch der Datenübermittlung. Wenn die Technologie von Autowerkstatt 4.0 ein Teil der Ausbildung zukünftiger Handwerksmeister und Mechatroniker-Gesellen wird, verändert sich auch die Akzeptanz und die Bereitschaft Künstliche Intelligenz zu nutzen.
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